Jiménez rockt die Dolomiten und gewinnt die Königsetappe des Giro 2022
Eine Kulisse wie gemalt für die Königsetappe des Giro 2022. Und die drei Altmeister waren versammelt, um die harte Dolomitenetappe in Angriff zu nehmen. Das Mixed-Team von sdworx war im Vorfeld unschlüssig und trat nicht an und die Basken von Ketxup-Mayo mussten kurzvorknapp krankheitsbedingt absagen ... Oder war das die Furcht vor den vier harten Anstiegen? Jiménez fürchtete sich vor nix, gewann die Etappe und seinen ersten Stern und Werner Post hatte endlich wieder Grund zum Jubeln.
Teamleiter Werner Post hatte sich nicht lumpen lassen und adäquates Gebäck erstellt, was auf sehr große Begeisterung (nicht nur beim Team Bianchi-Maferro) stieß. Dass hier unerlaubte Mittel beigemischt worden sind, kann ausgeschlossen werden.
Vom Start weg entwickelte sich ein flottes Rennen und durch eine kleine Unaufmerksamkeit kam schon sehr früh Thaler (Bianchi) auf regennasser Fahrbahn zu Fall... Spätestens jetzt waren alle Sinne geschärft und das heiße Rennen ging richtig los.
Für den in seinem Team WERNER sowieso nur noch "auf Abruf" fahrenden Jan Raas war es von Beginn an ein sehr einsames Rennen. Er verlor durch eine Windkante schon in der Startphase den Kontakt zum Feld - und kein Teamkollege fand sich bereit, ihm in dieser kritischen Situation beizustehen. Nicht nur die frostigen Außentemperaturen dürfte er ihn in diesem Moment, als er das Hinterrad des letzten Radlers im Haupfeld hinter der Felsenecke verschwinden sah, als eisekalt empfunden haben...
Vier Bergwertungen waren zu meistern, nach einer kurzen Abfahrt direkt hinein in den Stieg zum Passo Gardena, das Grödner Joch, erste Kategorie. Pantani* zeigte sich mit seinem Teamkollegen Farisota* vom Start weg ganz vorne und zwang das Feld ein ums andere Mal durch seine scharfe Fahrweise zu einer Reaktion.
Dies führte schon im zweiten Anstieg dazu, dass das Feld förmlich auseinander flog; vor allem die die Sprinter hatten schon im ersten Anstieg Probleme, Anschluß zu halten ...
Einzig BIANCHI-Maferro gelang es, sein Team zusammenzuhalten und auch Weltmeister Stöpel - seines Zeichens ebenfalls Sprinter - gut über den Gardena zu bringen. Offenbar hatten die BIANCHI-Jungs, angeführt von ihrem sportlichen leiter Torsten Maferro, von Anfang an einen klaren Matchplan...
Raas kämpfte sich derweil tapfer zurück und formierte mit den anderen Sprinterkollegen das Grupetto.
Patani* hatte sich heute offenbar vorgenommen, die italienischen Farben würdig zu vertreten. Der Pirat feuerte aus allen Kanonen und suchte sein Heil auch im zweiten Anstieg, dem Passo Campolongo (dritte Kategorie), in der Attacke. Da kommt dem Chronisten ein Lied der neuen deutschen Welle in den Sinn: Keine Atempause, das Rennen wird gemacht, es geht voran ... Auch für die Teamleiter war es auf diesem hochkkomplexen Kurs ein herausfordernder Abend; ständigen mussten die Herren die Plätze wechseln, um den richtigen Einblick zu bekommen.
PEUGEOT und WERNER hatten ihre Bergspezialisten Pippa Millar und Julio Jiménez vorne und beiden gelang es im Anstieg zur dritten Bergwertung des Tages die Ausreißer Pantani* und Farisato einzuholen sodaß sich kurz vor der 3.Bergwertung, dem Passo Pordoi (HC) eine vierköpfige Ausreißergruppe bildet. Farisato* gewinnt die Bergwertung vor seinem Kapitän Pantani*, gefolgt von Julio Jiménez, der sich wieder einmal als der stärkste Fahrer im TEAM WERNER präsentierte, während der eigentliche WERNER-Kapitän Joop Zoetemelk wieder große Probleme hatte und sich nur mit Mühe im Hauptfeld halten konnte.
Komplettiert wurde das Quartett von "Pippa" Millar, die trotz mehrmalig akuter Sturzgefahr bewies, dass sie durch die nun auch offiziell vollzogene Geschlechtsangleichung nichts von ihrer Klasse verloren hat.
Ein überraschender Kälteeinbruch nach der Überquerung des Gipfels machte es den Verfolgern vom Team BIANCHI um den in der Gesamtwertung Zweitplatzierten Rolf Wolfshohl nicht leichter, den Rückstand von konstant 30 Sekunden auf die vierköpfige Spitzengruppe zuzufahren. Doch BIANCHI-Maferro stand geschlossen und fuhr wie bei einem Teamzeitfahren mit großer mannschaftlicher Disziplin. Selbst ein Jaques Anquetil, nomineller neuer Teamkapitän bei PEUGEOT-Videovita, kam nicht vorbei, sondern saugte sich mehrfach an Stöpels Hinterrad an. Zur Erinnerung: Stöpel ist ein Sprinter.
Immer mehr Fahrer verloren den Anschluss, darunter auch Zoetmelk, der das Tempo der Verfolger im Anstieg nicht mitgehen konnte und mit über einer Minute Rückstand auf dem vorletzten Gipfel ankam. Während sich die Spitzengruppe in die Abfahrt stürzte - Pantani* und Farisato* geradezu todesmutig bei nun auch wieder einsetzendem Regen! - , nahmen die Querfeldeinspezialisten Wolfshohl, Thaler, Kunde und Stöpel mit Höchgeschwindigkeit als Zug die Verfolgung auf und bewiesen im strömenden Regen sowohl eiserne Nerven wie auch fahrerisches Können: vier Sturzwürfelwürfe, alles gut gegangen, die Jungs berherrschen ihre Sportgeräte. Weniger Glück hatte Lino Farisato*, der in der rasenden Abfahrt wohl einfach zuviel wollte und in der Schlußbiegung der Abfahrt an einer Felskante hängenblieb und schwer stürzte! Wie durch ein Wunder blieb er unverletzt und konnte im letzten Anstieg wieder zur Spitzengruppe aufschließen.
Nun wurde es ganz heikel: Der Führende bog in den letzten Anstieg, während die letzten Sprinter dort eigentlich noch den vorletzten Anstieg fahren mussten, aber noch nicht durch waren. Die Rennleitung stellte klar: Wer nach dem letzten Zug einer Runde überrundet ist, scheidet aus (d.n.f), wird aber mit +1:00 auf dem Letzten gewertet. Als erstes traf es den Unglücksraben Raas, dessen aufopferungsvoller Kampf ohne Happy End blieb, im Folgenden schieden auch noch Armani* und Jürgen Tschan (PEUGEOT) aus.
Und, ebenso heikel: die Doofen Pantani* und Farisato* schickten sich tatsächlich an, die Etappe zu gewinnen. Die Verfolger inklusive Wolfshohl hatten im Schlußanstieg zwar den Anschluss geschafft, kamen aber nicht an den beiden Doofen vorbei. Schennie Körper, der Teamchef von PEUGEOT war es, der eine Allianz zwischen den großen Dreien vorschlug, um die drohende Demütigung durch die Doofen abzuwenden. Und so führte Wolfshohl teamübergreifend einen Zug mit Jiménez, Pippa Millar und Kunde an, der kurz vor dem Ziel mit Pantani auf gleiche Höhe zog.
Allerdings: durch die Zugregel war Jiménez nun in vorderster Position, Wolfshohl musste sich ans Ende der Vierergruppe hinter seinen treuen Helfer Kunde einreihen. Im Zielsprint verließen Pantani dann die Kräfte, Farisato* stürzte ein zweites Mal, Pippa York hatte nichts mehr zuzusetzen. So fuhr Jiménez das Ding nach Hause, knapp vor Pippa York und Farisato auf Platz drei. Rolf Wolfshohl blieb trotz famoser Teamperformance seiner BIANCHI-Jungs doch nur noch der undankbare vierte Platz, zeitgleich mit Pantani*, dem nur die Auszeichnung für den kämpferischsten Fahrer der Etappe blieb.
Aber den anderen zwei Kapitänen erging es noch wesentlich schlechter: Anquetil (PEUGEOT) auf Platz 12 (+2:50) und Zoetemelk (WERNER) auf 13 (+3:20) waren die großen Verlierer des Tages. Mann darf gespannt sein, ob die Teams PEUGEOT-videovita und WERNER-Television nach den Eindrücken des GIRO in die nächste Saison mit einer neu formierten Mannschaft gehen... Zumindest im Team WERNER rumort es und manch einer spricht von einer bevorstehenden "Zeitenwende"...
Der Gesamtführende Indurain (KELME) verliert in Abwesenheit zwar 1:32 seines komfortablen Vorsprungs und liegt nun noch 2:13 vor Wolfshohl und 2:39 vor Pippa York. Aber es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht zum ersten großen Triumph für das spanische KELME-Team reichen sollte. Auch die anderen Trikots bleiben fest in KELMEs Hand.
Einzig die Teamwertung ist umkämpft und wird nach vier von fünf Etappen von PEUGEOT-videovita angeführt, mit einem Pünktchen vor WERNER-Television und dreien vor BIANCHI-Maferro.